Fundamentale Lebensereignisse lassen die Menschen nach einer aufwühlenden Zeit von Panik, Verzweiflung und Wut oft in einer ohnmächtigen Leere zurück. Die Kraft für einen Kampf ist aufgebraucht, die Energie für intensive Gefühle erloschen. Was bleibt, ist Resignation, ein „Sich-Fügen“ in das Unabwendbare. Sei es beim persönlichen Verlust eines nahen Angehörigen, oder in allumfassenden Katastrophen wie einer Pandemie. Die Rückkehr in das normale Leben gilt es danach mit aller Kraft zu meistern.

Was aber, wenn ein derartiges Ereignis nicht mehr endet und die alte Normalität nicht mehr zurückkehrt? Oder einfach die Kraft zum Neubeginn fehlt? Stellen wir uns vor: die Wucht von Corona hätte nicht mehr abgenommen, sondern wäre durch permanente, lebensbedrohliche Mutationen zur ewigen Geißel der Menschheit geworden? Kein Schritt mehr aus den eigenen Räumen ohne Gefahr für das eigene Leben, kein freies Bewegen mehr in der Öffentlichkeit. Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Und irgendwann akzeptiert der Geist den Ausnahmezustand als neue Normalität, die Panik weicht der Lethargie. Gefühlsmäßige Ausnahmezustände entstehen durch Kontraste. Je weiter diese aber unter Nivellierung der Lage in die Ferne rücken, desto mehr bröckelt die grelle Fassade des Schmerzes ab und hinterlässt nur nackten, kalten Beton.

Schnitt. Jahre später. Der Kontrast ist bereits verblasst. Die allgegenwärtige Gefahr der Pandemie wurde zum irrelevanten Begleiter. Lediglich die Maske blieb als Reminiszenz an eine Zeit, in der man noch an ihre Wirksamkeit glaubte. Letztendlich hatte man einfach vergessen, sie abzulegen. Die Welt hielt anfangs inne, fast fragend ob der neuen Situation, um sich dann einem schleichenden Verfall preiszugeben. Es ist eine Gratwanderung, wenn wir eine KI, die auf historischen Daten basiert, nach einer derartigen Zukunft fragen: was also, wenn Corona nicht wieder abgeebbt wäre? Wenn der Virus fortan unser Leben bestimmt, unsere Freiheit eingeschränkt, unsere gesamte Energie geraubt hätte? Die Welt verblüht wäre, unaufhaltsam, unwiederbringlich? Am Ende nur Erschöpfung, nur Stasis. Wir alle wären alt und kraftlos, würden nur noch vegetieren, statt zu leben. Verwahrlosung und Trägheit hätten sich breit gemacht, ein Hauch von Apokalypse. Und immer warten auf das, was nicht mehr kommt.

Soweit also die Hypothese. Die Bilder der KI entsprechen der Beschreibung. Bilder unserer Gedanken manifestieren sich, brennen sich ein, erschrecken uns. Denn es ist ein Unterschied zwischen einem Gedanken und dem physischen Bild dazu, auch wenn sich beides gegenseitig bedingt, das eine durch das andere erzeugt wird. Auch wenn die KI nur das liefert, was wir anhand von Parametern und Prompts vorgeben, so ist das Ergebnis doch nur bedingt deterministisch: Milliarden von möglichen Parameterkombinationen machen es unmöglich, das Ergebnis exakt vorherzusagen. Und so wohnt diesem Prozess eine Stochastik inne, auch wenn das System bei gleichem Modell und gleichen Parametern immer das exakt gleiche Bild erzeugen wird. Bilder als Ergebnisse von mathematischen Formeln.

Ich stelle mir die Parameter-Konstellation ähnlich vor wie beim Prozess des Denkens: je nachdem, wie die Synapsen gerade „eingestellt“ sind, springen die Impulse durchs Gehirn und formen den Gedanken. Das kann in einem anderen Umfeld oder an einem anderen Tag zu ganz anderen Ergebnissen führen. Einmal reagieren wir emotional auf den gehässigen Kommentar eines Kollegen, ein anderes Mal perlt dieser an uns ab. Diese Beschreibung ist zwar absolut nicht medizinisch fundiert, stellt für mich aber ein brauchbares Modell für die Arbeit mit einem KI-System dar. Auch wir verfügen über vernetzte Informationen und Erfahrungen und bilden daraus Schlussfolgerungen. Jeder kann irren: wir, die KI. Und jeder kann sich seine Welt konstruieren.

Die Bildgenerierung weist dabei für mich deutliche Analogien zur Schriftstellerei auf, was die Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion angeht. Oder neudeutsch: Reality vs. Fake. Waren Romane nicht immer schon „Fakes“? Was seit jeher schriftstellerischer Freiheit entsprach, entsteht jetzt gleichsam in Form der bildgenerierenden Freiheit, es werden nur andere Sinne angesprochen. Neu ist das nicht, wirft man einen Blick auf die Malerei oder die Hochglanzcover von Zeitschriften der letzten Jahrzehnte. Auch hier wurde die Realität immer schon maßgeblich optimiert, insbesondere seit Aufkommen von Photoshop. Auch Montagen gibt es längst. Neu ist hingegen zum einen die Qualität des Fotorealismus, der eine Unterscheidung zur Fotografie manchmal unmöglich macht. Und zum anderen das systemisch Generierte, indem Bilder nicht durch einen Menschen erschaffen, sondern von einem Computersystem auf Basis vorgegebener Prompts und Parameter berechnet werden.

Immer basiert das Ergebnis auf existierendem Material, welches für das KI-Modell zum Anlernen verwendet wurde. Doch wo ist der Unterschied zum menschlichen Gehirn? Auch hier werden auf Basis historischer Erfahrungen und Verknüpfungen Gedanken gebildet, Schlussfolgerungen gezogen, Entscheidungen gefällt: das Gehirn wurde im Laufe des Lebens ebenso „angelernt“. Noch sind KI-Modelle in der Regel statisch, fix verdrahtet. Sie werden meist offline aktualisiert, während das menschliche Gehirn neue Daten unmittelbar verarbeitet. Doch es ist eine Frage der Zeit, bis mit KI durchweg auch ein Livebetrieb möglich sein wird.

Die Bilder in meinem Projekt „Final Decay“ zeigen also, wie der Name sagt, das letzte Verblühen der Menschheit, bedingt durch eine nachhaltige, globale Katastrophe und die folgenden, auszehrenden Jahrzehnte. Ein Szenario unter vielen, das wir vermeiden müssen. Corona hatte hierzu glücklicher Weise nicht die Macht. Doch das war zu einem guten Anteil reiner Zufall, so wie die Bilder, welche die KI dazu liefert.

Final Decay
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